Die Rettungshundestaffel Osterholz bewahrt Vermisste vor dem sicheren Tod; neun Einsätze hatten die Ehrenamtlichen und ihre Tiere in diesem Jahr. Für die Hunde ist die Suche ein Spiel, das beste von allen.

Quelle: Lars Fischer, im WeserKurier 01.01.2020 https://www.weser-kurier.de/region/die-norddeutsche_artikel,-spiel-des-lebens-_arid,1885968.html
Wir hinterlassen Spuren, mehr als uns manchmal lieb ist und mehr als uns meistens bewusst ist. Und das beileibe nicht nur in der digitalen Welt, sondern ganz analog im Alltag. Das kann erschreckend sein, aber es kann auch Leben retten. Rettungshunde, die Vermisste aufspüren, machen sich das zu eigen. Sie folgen unseren Duftmarken, auch noch nach Tagen und über Kilometer, wenn es sein muss. Das hat schon so manchen vor dem Erfrieren oder einem anderen elenden und einsamen Ende bewahrt.

Mittwochabend, 19 Uhr, irgendwo in der Innenstadt von Osterholz-Scharmbeck. Es ist Dezember, schon längst dunkel und unschön norddeutsch nass, aber durchaus belebt. Sechs Menschen und ein Hund streifen durch die Straßen, die Zweibeiner folgen dem Vierbeiner an der Leine. Sie suchen nach einer jungen Frau, einziger Anhaltspunkt für ihren Verbleib ist ihre Mütze, die sie zurückgelassen hat. Das aber reicht Lou. Die dreijährige Mischlingshündin beschnüffelt das Kleidungsstück und weiß, was zu tun ist. Sie nimmt die Fährte auf und folgt gemeinsam mit ihrer Hundeführerin Jaqueline Reinke der unsichtbaren Spur.
Die anderen halten sich im Hintergrund; der Hund weiß, wo es langgeht. Alle sind entspannt, denn die Vermisste ist eine Kollegin aus der Rettungsstaffel Osterholz, die ihren Sitz in Worpswede hat. Sie spielt nur die Vermisste – und so ist es auch für Lou. Was im Ernstfall Leben retten kann, sei für die Hunde einfach nur das „coolste Spiel überhaupt“, sagt Marie Schaser. Auch sie ist eines von den 21 aktiven Mitgliedern der Staffel, allesamt Ehrenamtliche.
Schasers Hunde Haily und Hurricane kommen an diesem Abend nicht zum Zuge. Sie sind Flächensucher, keine Mantrailer. Letztere folgen einer Spur und finden gezielt eine bestimmte Person, Erstere aber durchsuchen eine Fläche und zeigen jeden Menschen an, den sie dort in auffälliger Haltung auffinden. 75 000 Quadratmeter schafft so ein Tier in rund 40 Minuten; bei den Rettungshunden gibt es nur Spezialisten. Die beiden Experten für die Fläche müssen in ihren Boxen, zwischen Geschirr und reichlich Ausrüstungsgegenständen, im Auto warten, sie sind beim nächsten Training an der Reihe.
Die Kreisstadt bietet die optimalen Bedingungen fürs Mantrailing. Das urbane Umfeld mit seinen vielen Eindrücken und möglichen Ablenkungen zum Andocken ist dazu bestens geeignet. Auf dem platten Land wäre die Herausforderung für Lou zu klein. So aber muss sie sich an zahlreichen Kreuzungen und Einmündungen entscheiden, wo es weiter geht. Sie schnüffelt manchmal eine Straße einige Meter entlang, macht kehrt und trottet wie selbstverständlich in die andere Richtung. Im Ernstfall kann das eine lebenswichtige Entscheidung sein, denn solche Stellen sind oft der Scheideweg.Mischlingshündin Lou und Hundeführerin Jaqueline Reinke bei der Arbeit. (Rettungshundestaffel Osterholz)
Der Hund entscheidet über den Weg
Autos fahren vorbei und verwirbeln die Spuren, aber auch der Hundeführer kann einiges verkehrt machen. Schließt er einen Weg von vornherein aus, dann spürt der Hund das. Das Tier gerät in einen Gewissenskonflikt: Natürlich will es der Spur folgen, weil es weiß, am Ende gibt es eine großartige Belohnung. Aber ein Hund will immer auch Herrchen oder Frauchen gefallen, und wenn die sich so sicher sind, dass es hier nicht lang gehen kann, darf man sie dann überstimmen? Deshalb lernen die Rettungshundeführer, jeder Situation auf der Suche verhaltensneutral zu begegnen. „Der Hund muss entscheiden, und wir müssen ihm zu 100 Prozent vertrauen“, sagt Nadja Schulz-Hoesen, die Vorsitzende des Vereins.
Neun Einsätze haben die Osterholzer in diesem Jahr gehabt, 2018 waren es elf. Manchmal werden sie auch aus anderen Landkreisen, die keine eigene Rettungsstaffel haben, oder zur Verstärkung alarmiert. In der dunklen Jahreszeit häufen sich die Fälle, und nicht alle gehen gut aus. Manchmal kommen auch die Hunde, die noch bis zu 40 Stunden alte Spuren finden, zu spät. Ist der Gesuchte bereits verstorben, wird es zusätzlich schwierig, den Leichnam zu finden, denn der Geruch verändert sich.Mehr zum Thema
Das kann man nicht trainieren. Lieber berichten Schaser und Schulz-Hoesen natürlich von ihren Erfolgen, so wie in Hagen im benachbarten Landkreis Cuxhaven. Dort suchten sie im August nach einer orientierungslosen Seniorin, die aus einem Heim verschwunden war – ein häufiges Szenario für die Staffel. Schließlich fanden sie die 85-Jährige nach drei Tagen. Sie hatte sich nur leichte Blessuren zugezogen, aber war in einen Graben gestürzt, der vom nächsten Weg aus nicht einsehbar war. Ohne tierische Hilfe hätte sie kaum eine Überlebenschance gehabt.
Es gibt kaum Ausschlusskriterien dafür, welcher Hund diesen Job machen kann. Nur wer auf Fremde extrem ängstlich oder aggressiv reagiert, ist disqualifiziert. Und Rassen wie etwa Möpse, die züchtungsbedingt chronische Nasenprobleme haben. Ansonsten kann jeder Retter werden, je jünger er anfängt, desto besser. Der Weg ist ein langer, und das Training ist intensiv.
Viele Eindrücke strömen auf die Spürnase ein
Zurück in Osterholz kommt Lou ihrem Ziel immer näher. Die letzte Schwierigkeit ist eine Tankstelle auf dem Weg. Wieder sind es viele Eindrücke, die auf die Spürnase einströmen. Die Hündin, die trailt, seitdem sie sieben Monate alt ist, lässt sich nichts vormachen. Sie behält die Orientierung und biegt rechts ab.
Zweimal in der Woche übt die Rettungshundestaffel, mittwochabends und einen ganzen Tag lang am Wochenende. Das Ergebnis aber ist beeindruckend: Lou findet schließlich die Gesuchte auf einer Sitzbank vor einem Restaurant. 22 Minuten hat sie gebraucht, sagt die Mantrailing-App von Jaqueline Reinke, und sie weist auch die Entfernung aus: 1,5 Kilometer waren es, Lou hat 1,77 Kilometer abgelaufen, um alle Eventualitäten erfolgreich auszuschließen. Und das wird bejubelt. Der Hund wird von allen gelobt und geknuddelt, es gibt Leckerli, noch mehr Streicheleinheiten und das Lieblingsspielzeug. Denn nur so funktioniert es: Leben retten muss ein Spiel sein – das beste von allen.